Anmerkungen zur Ausstellung Bitte ein Liebscher.
„Liebscher ist Vorstand und Liebscher ist das Publikum. Liebscher ist das Volk und die Bevölkerung. Liebscher ist überall und überall ist Liebscher. Liebscher ist der Mensch ohne Macht, aber mit massenhafter Phantasie. Deshalb ist Liebscher unendlich. Selbst Gertrude wusste: Liebscher ist Liebscher ist Liebscher ist Liebscher.“[1]
Thomas Wagner
[1] Thomas Wagner, Ein Mann mit Möglichkeiten oder ein Liebscher kommt selten allein, in: Katalog Martin Liebscher. A Man with Opportunities, Andreas Bee (Hg.), Köln, Verlag der Buchhandlung Walter König, 2007, o. S.
Ganz offensichtlich verfügt Martin Liebscher über viel Menschenkenntnis. Nichts Menschliches scheint ihm fremd. Auf den mit Liebschers bevölkerten Bildern spiegelt er alltägliches Verhalten und veranschaulicht mit seinen Konterfeis, wie sich Vertreter von uns in Theater- und Opernhäusern, Büros, Vorstandsetagen, Börsensälen, Schwimmbädern, Fabriken, Kneipen und der Natur, benehmen. Dies fasziniert und wir betrachten die sogenannten Familienbilder mit großer Akribie. Darüber hinaus scheint dieser Menschenfreund mit Sinn für Humor auch zu wissen, wie wir im digitalen Zeitalter unentwegt – unterwegs, nebenbei und unbewusst, beim Gehen, Auto- oder Zugfahren, Fliegen und in den diversen Medien – Bilder aufnehmen. In seinen Panoramen versinnbildlicht Martin Liebscher an uns ‚vorbeiziehende‘ Landstriche, Gebäudesilhouetten und Menschengruppen so, wie sie schemenhaft von unserem inneren Auge notiert werden.
Aber der Reihe nach: Wer ist dieser umtriebige Künstler, der über schauspielerisches Talent verfügt und menschliche Regungen bestimmter Typen in ihrem jeweiligen Umfeld so treffend visualisiert? Wie und wo fing das alles an?
Speyer
Martin Liebscher wurde 1964 in Naumburg an der Saale in der ehemaligen DDR geboren. Als kleiner Junge kam er mit seiner Familie über Afrika nach Speyer, wo er in einer künstlerischen und kreativen Familie aufwuchs. In Speyer entsteht auch, noch während Martin Liebschers Studienzeit, 1993, das erste Familienbild für eine Einladungskarte: Es zeigt drei Portraits des dreißigjährigen Künstlers mit blondem Haar und hohen Geheimratsecken, in grüner Cordhose und blauem Wollpulli, inmitten des mit Biedermeiermöbeln voll gestellten Salons im Geburtshaus des Künstlers Anselm Feuerbach.[1] 1996 erhält Martin Liebscher den Hans-Purrmann-Preis der Stadt Speyer. Seit einigen Jahren gehört er selbst der Jury des Preises an.[2]
[1] Anselm Feuerbach (Speyer 1829 – Venedig 1880)
[2] Hans Purrmann (Speyer 1880 – Basel 1966). Im Haus Beda fand 2015 die Ausstellung Hans Purrmann. Die Farben es Südens statt, die zahlreiche selten bis noch nie gezeigte Werke aus dem Besitz der Familie des künstlerischen Sohns der Stadt Speyer der Öffentlichkeit präsentierte.
Meister der (Selbst-)Inszenierung
Martin Liebscher arbeitet mit sich selbst als Modell. Nicht aus Eitelkeit, sondern aus Gründen der generellen Verfügbarkeit und der geistigen Flexibilität: Sich selbst braucht er keine Regieanweisungen zu geben. Sein schauspielerisches Talent kann sich geradewegs entfalten und spontanen Eingebungen nachgehen. Die jeweiligen Posen, Typen und Charaktere, die er verkörpert, hält er via Selbstauslöser fest oder ein Assistent nimmt ihn auf.[1]
Da Martin Liebscher einige Jahre als Filmvorführer in Mannheim und Frankfurt gearbeitet hat, ist er mit Filmen und Filmgeschichte bestens vertraut. Neben einer Veranlagung zum Darstellerischen und Empathie für menschliches Verhalten in allen möglichen Lebenslagen dürfte er bei den Shootings so manche Pose und Szene aus seiner Filmerfahrung abrufen. Hinzu kommt im Laufe der Jahre natürlich auch eine gewisse Erfahrung und Routine bei der Durchführung solcher Projekte.
Die Liebschers sind multiple Persönlichkeiten mit vielen Gesichtern und Facetten. Die Frage nach der Identität solcher Klone ist allzu berechtigt. Inwiefern passt hierzu das Etikett Familienbilder als Bezeichnung für sämtliche Ansammlungen von Liebscher Doppelgängern? „Obwohl nichts buchstäblich Familiäres in Martin Liebschers Familienbildern vorkommt, ist dieser Serientitel doch nicht völlig aus der Luft gegriffen. /…/ Wenn von den Mitgliedern einer Familie wenigstens nahe Verwandtschaft verlangt werden darf, so erfüllen die unzähligen Martin Liebschers, die sich dank ebenso vieler per Photoshop montierter Einzelfotos auf den Bildern tummeln, dieses Kriterium allemal. Jedenfalls sehen wir uns mit dem immer gleichen jungen Mann mit lichtem Deckhaar, humorvollen, rundweg sympathischen Gesichtszügen in identischem Habit konfrontiert, nur eben vielfach, dabei jedoch so, als handele es sich jeweils um verschiedene Menschen.“ [2]
Beim vergleichenden Betrachten der Familienbilder ist auch eine langsame Veränderung der Physiognomie des Hauptdarstellers – vom Jüngling zum reiferen Herrn – feststellbar. Der Künstler selbst ‚thematisiert‘ das Älterwerden mittels Masken aus früherer Zeit, die er neuerdings auch in Familienbilder wie die Aufnahme des Festsaals des Haus Beda integriert.
Des Öfteren findet sich unter den vielen Liebschers auch eine Frau. Sozusagen ein „Gruppenbild mit Dame“. Dabei handelt es sich um Martin Liebschers Frau, die öfter assistiert. Anders als bei der Arbeit Schwimmbad, 2010, im schwarzen Bikini unschwer von den Liebschers in blauer Badehose zu unterscheiden, ist sie inmitten Hunderter oder gar Tausender Liebscher-Doubles nicht immer einfach zu finden. Betrachter, die von einer Frau im Bild hören, nehmen die betreffenden Familienbilder auch unter diesem Aspekt gewissenhaft in Augenschein bis sie endlich fündig werden.
Schauplätze: Theater, Konzertsäle, Opernhäuser, Stadien, Vorstandsetagen
In den vorgenannten Räumlichkeiten trifft bei Liebscher ein erhabenes, oft legendäres Umfeld, in dem die Größen der Musik-, Sport und Geschäftswelt auftreten, auf allzu Menschliches und Banales. Hier versammeln sich Liebschers Alter Egos entsprechend der Sitzgelegenheiten in großer Zahl. Und nicht immer benehmen sie sich comme il faut: Sie gähnen ungeniert, schlafen, bohren in der Nase, gehen sich an die Gurgel, kippen sich ‚einen hinter die Binde‘, suchen raschelnd etwas in der Tüte, klettern über Brüstungen zu, brüllen sich an. Da ist was los im Parkett, auf den Rängen und Logen, im Orchester und den Vorstandssälen. Die vielen kleinen Beobachtungen und Dramen addieren sich zu einem außergewöhnlichen Bildgeschehen, das den jeweiligen Raum näher charakterisiert und die gesamte Bildfläche überzieht. Da Liebschers massenhaft auftreten, bespielen sie die Orte auch mit mehr Personal als feuertechnisch erlaubt.
Neben dem Interesse für die Aktivitäten der Liebscher Doppelgänger interessieren sich Betrachter für das Innenleben berühmter auratischer Orte wie die Mailänder Scala, die Opera Garnier in Paris oder das Züricher Opernhaus. Von besonderem Reiz sind Einblicke in nicht öffentlich zugängliche Räume wie Vorstandssäle bekannter Banken und Institutionen. Diesen ‚Voyeurismus‘ bedienen einige Fotografen: allen voran die ehemalige ‚Becher‘-Schülerin Candida Höfer (*1944). Sie spezialisierte sich auf die zentralperspektivische Aufnahme öffentlicher Räume wie Museen, Bibliotheken, Foyers, Vorlesungssäle und Theaterbauten und dokumentierte die eindrucksvollen Räumlichkeiten ohne Pathos, sachlich, nüchtern und menschenleer.
Martin Liebscher dagegen erweckt die ehrwürdigen Räume zum Leben und demonstriert damit, wofür sie errichtet wurden. Seine Alter Egos agieren in den berühmten Innenräumen mit Respektlosigkeit und Chuzpe, die Betrachtern den Atem verschlägt. Doch trotz des omnipräsenten menschlichen Miteinanders im Vorder- und Hintergrund zeigen auch Liebschers Fotografien die jeweiligen Schauplätze in ihrer Gesamtheit mitsamt baulichen Details. Neben den zentralperspektivischen Ansichten großer Räume nimmt Martin Liebscher diese öfter auch aus verschiedenen Blickwinkeln auf und setzt sie dann am Bildschirm zu einem multiperspektivischen Panorama zusammen: wie zum Beispiel bei der Aufnahme der Berliner Philharmonie(2005) oder der Suntory Hall, Tokio (2008).
[1] Nathalie Acker: Eröffnungsrede, Kunstverein Speyer 18. Dezember 2005. Nathalie Acker erwähnt ebendort, dass Martin Liebscher probiert habe, mit anderen Modellen zu arbeiten, aber es nicht funktioniert habe, weil es zu gespielt wirkte.
[2] Christian Janecke: Martin Liebscher. Hundred are better than one. Martin Liebschers Familienbilder, in: Anne Marie Freybourg (Hg.), Die Inszenierung des Künstlers, Berlin, Jovis Verlag, 2008, S. 63.
Rückgriff auf die Ikonologie der altniederländischen Malerei
Die breiten Wimmelbilder von Martin Liebscher bestehen aus vielen kleinen Geschichten und Episoden, was in der Kunstgeschichte als Hundert- oder Tausend-Bilder-Bilder[1], eine lange Tradition hat: Hieronymus Bosch (um 1450 – 1516) überwältigt bis heute mit einer Fülle von faszinierenden Einzelmotiven und phantastischen Geschöpfen auf seinen monumentalen Triptychen. Pieter Bruegel d. Ä. (um 1525 – 1569) verbildlichte auf einem Gemälde sämtliche Kinderspiele seiner Zeit und auf einer anderen Bildtafel an die hundert Sprichwörter, mithin den Irrsinn menschlichen Handelns. Ebenso demonstrierte er bei dem in die winterlichen Niederlande verlegten Bethlehemitischen Kindermord in vielen Einzelszenen die verübten Grausamkeiten in geradezu enzyklopädischer Genauigkeit und Drastik. Ein Panoptikum menschlicher Verhaltensweisen vermitteln auch Bruegels Zeichnungen und Radierfolgen der Sieben Tugenden und der Sieben Todsünden.[2]
Insbesondere das enzyklopädische Auflisten in Form von verbildlichten Einzelszenen von einem Sachverhalt, einem Ort oder einer Allegorie zugeordneten Verhaltensweisen hat Martin Liebscher mit den Niederländern der beginnenden Neuzeit und des aufkommenden Manierismus gemein. Ob im sogenannten Paradies oder an der Börse, dem Inferno, sehen wir Liebschers Doppelgänger in jeder erdenklichen Haltung und Tätigkeit, die wir mit dem jeweiligen Ort und dem Geschehen assoziieren: meditierend, Blumen gießend, mit hochgelegten Beinen trinkend, mit Sonnenhut am Rotwein nippend, in den dicken Roman vertieft, … respektive auf dem Börsenparkett Interviews gebend, telefonierend und dabei gelangweilt die Fingernägel betrachtend, am Boden kauernd, mit gezückter Schusswaffe. Die Liste ließe sich für diese beiden Familienbilder wie für alle anderen noch unendlich lange fortführen.
Martin Liebschers Winterlandschaft von 2011 zeigt wie sich seine Alter Egos, mit oder ohne Schlittschuhe, auf dem Eis vergnügen. Vom Bildaufbau erscheint das Werk wie eine fotografische Neuinterpretation der Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern (um 1620) von Hendrick van Avercamp (1585 – 1634). Das fotografierte Winterbild greift aber auch Motive von Pieter Bruegels d. Ä. kleiner Winterlandschaft mit Eisläufern auf. Und erinnert an dessen Allegorie des Monats Januar (1565), wo sich im Hintergrund Menschen auf einem gefrorenen See tummeln.[3] Wie die niederländischen Altmeister lassen sich Liebschers Aufnahmen „als ein Musterbuch prototypischer Leidenschaften, Gemeinheiten, Nachlässigkeiten, Befindlichkeiten in dem engen Rahmen, den das jeweils aufgerufene Thema zulässt“[4], lesen.
[1] Ein Begriff, den der renommierte, viele Jahrzehnte an der Universität Stuttgart lehrende Kunsthistoriker und Autor eines Standardwerks über die Rembrandt-Schüler, Werner Sumowski (1931 – 2005), in seinen Vorlesungen oft benutzte.
[2] Pieter Bruegel: in: Kindlers Malerei Lexikon, Band 2, München, dtv, 1982, vgl. S. 175ff.
[3] Das erwähnte Werk firmiert auch unter dem Titel Jäger im Schnee.
[4] Christian Janecke: Martin Liebscher. Hundred are better than one. Martin Liebschers Familienbilder, in: Anne Marie Freybourg (Hg.), Die Inszenierung des Künstlers, Berlin, Jovis Verlag, 2008, S. 64.
Minutiöse synthetische Bilderstellung
Die Realisierung der flächendeckend mit agilen Liebschers gefüllten Familienbilder erfordert Ausdauer, Phantasie und Geduld. Den aufwendigen Fotoaufnahmen, die sich teilweise über mehrere Tage erstrecken, wenn Martin Liebscher sämtliche Sitzplätze großer Opernhäuser oder Stadien einnimmt und bespielt, gehen teils langwierige Korrespondenzen und Verhandlungen voraus, bis sich die Türen öffnen. Bei den Aufnahmen hat der Künstler bestimmte Ideen und Szenen im Kopf und bringt die erforderlichen Requisiten und Accessoires mit an das Set. Sind die Aufnahmen ‚im Kasten‘, beginnt die disziplinierte und kreative Fleißarbeit am Rechner: Hier verarbeitet Liebscher die vielen, in kurzer Folge realisierten Einzelaufnahmen und die verschiedenen Raumausschnitte zu einem stimmigen, passgenauen Gesamtbild. Dieses wiederum besteht in seiner Binnenstruktur aus vielen narrativen Einzelepisoden, die den Charme der Familienbilder ausmachen und später unsere Blicke fesseln. „Wie in den Arbeiten seines Lehrers Thomas Bayrle oszilliert die Wahrnehmung dann zwischen der Erfahrung einer klar bestimmbaren und schnell zu überblickenden Situation und einer, die den Sofortblick wieder löst, den linearen Erzählfluss bricht und sich in der Reflexion vieler Mikrodramen, Zitate und kunstgeschichtlichen Bildreferenzen verlieren kann.“[1]
Im Computer- oder in Photoshop werden die beim Shooting vorbereiteten Einzelszenen zu den vielen kleinen Begebenheiten komponiert: „Ich benutze die Fotografie wie eine Malerei. Das heißt, ich benutze die Fotos wie eben ein Maler Farben oder Realitätsabbildungen verwendet.“[2] Vom Zeitaufwand her gesehen, ist Liebschers minutiöses Bildherstellungsverfahren teilweise mit dem Malen mit einem ‚Einhaarpinsel‘ vergleichbar. Die Fertigstellung einer Panoramaaufnahme wie die der Mailänder Scala mit 3500 Sitzplätzen dauerte deshalb auch ein halbes Jahr.
[1] Pamela C. Scorzin: Liebscher ist jeder, in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Weltkunst und Bruckmann, Ausgabe 97, Heft 4, 1. Quartal 2012, S. 4.
[2] Ebd., S. 4 f.
Panoramen
In der Bitburger Ausstellung zeigen wir je zwei querformatige Panoramen von Tokio und Chicago. Die bewegten und unscharfen Bilder mit den tiefen Straßenfluchten, dem silhouettenhaft eingefangenen Loop von Chicago und den tanzenden Lichtreflexen vermitteln keine Postkartenmotive, sondern konfrontieren mit wellenförmig rhythmisierten Stadtansichten. Scharfe Details treffen auf schlierenartige Strukturen der filmartig anmutenden Städtepanoramen. Bei diesen handelt es sich um eine weitere große Werkgruppe von Martin Liebscher, die er seit Ende der 1990er Jahre beim Gehen, teilweise auch vom fahrenden Auto heraus, mit vom Körper weggehaltener, bewegter, heftig geschwenkter Kamera aufnimmt. Neben Tokio und Chicago fängt er die Atmosphäre der Metropolen Berlin, Hongkong, New York, Los Angeles und Sydney ein, ohne deren bekannte Wahrzeichen zu bemühen.[1] „Martin Liebscher hat für diese Bilder eine nur ihm eigene Aufnahmetechnik entwickelt: Jedes Motiv entstand durch die Belichtung analogen Filmmaterials. Der Film wurde in der für diesen Zweck manipulierten Kamera mit offener Blende von Hand durch das Kameragehäuse gezogen. Dadurch ergeben sich Dehnungen und Stauchungen, die die Wahrnehmung und Atmosphäre der urbanen Szene verdichten. /…/ Wir registrieren die kondensstreifenähnlichen Verwischungen der abgelichteten Gebäude, dann die einem Auf- und Abschwellen in der Musik vergleichbaren Belichtungsschwankungen und nicht zuletzt jene wie Taktstriche das extreme Querformat rhythmisierenden Vertikalen.“[2] Anders als bei den Familienbildern, weiß Martin Liebscher bei diesem Aufnahmeverfahren nicht, was herauskommt, wieviel Brauchbares auf einem Film ist. Die ästhetischen Ergebnisse, die stellenweise an malerische Strukturen erinnern, verdanken sich zum einen dem Zufall und zum anderen der scharfen nachträglichen Selektion durch den Künstler.[3]
Professor an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main
Seit 10 Jahren unterrichtet Martin Liebscher das Fach Fotografie mit regem Zuspruch von Studenten. Als Lehrer setzt er das um, was ihm bei seinem Studium an der Städelschule zu Gute kam: Die Vermittlung von Einblicken ins Kunstgeschehen und den Kunstmarkt, das Teilen von Wissen und Kontakten. Martin Liebscher unternimmt regelmäßig Exkursionen und besucht mit den Studierenden wichtige Ausstellungen. Ausgewählten Studenten vermittelt er bei sich bietenden Gelegenheiten, wie in Bitburg im Atrium, erste Ausstellungsmöglichkeiten.[4] Sein Ziel ist, dass die bei ihm Studierenden peu à peu einen Platz in der Kunstwelt finden und sich ein eigenes Netzwerk aufbauen. Kleine Liebschers ‚züchtet‘ er nicht. Im Sinne des amerikanischen Künstlers John Baldessari steht bei Martin Liebscher „die Teilhabe an einer kollektiven Sphäre spannungsreicher und kritischer Auseinandersetzung“[5] im Vordergrund seines Engagements an der HfG Offenbach.
Bitte ein Liebscher
Der Ausstellungstitel Bitte ein Liebscher könnte von Martin Liebscher nicht treffender gewählt sein. Ist dieser Ausruf doch zunächst eine Hommage an den Ausstellungsort. Der Ausspruch assoziiert einen im kollektiven Gedächtnis verankerten Werbespruch. Die Kenner von Liebschers Werk wissen natürlich, dass es einen Liebscher nicht gibt, dass diese zumindest im Dreierbund, bevorzugt aber massenhaft auftreten. In Bitburg aber haben wir jetzt einen Liebscher: das beeindruckende Familienbild vom Festsaal des Haus Beda mit dem Hauptdarsteller Martin Liebscher im hellen Sommeranzug: Unverstellt, ungeniert, auf Liebscher-Art haben die Liebschers dort reichlich Platz genommen.
[1] Auf Youtube kann man sich einen Film ansehen, wie Martin Liebscher diese Bilder aufnimmt.
[2] Andreas Bee: Martin Liebscher, Destinations, 1994-2015, in: website martinliebscher.com
[3] vgl. Bernd Finkeldey: Rasanter Scratch in: Martin Liebscher. Auto, Göppingen, Verlag der Kunsthalle, 2001.
[4] Während der Ausstellung Bitte ein Liebscher bespielen einige Studenten von Martin Liebschers Fachbereich das Atrium.
[5] John Baldessari, zitiert bei: Daniel Birnbaum, Kunst lehren. Ein Vorschlag aus Frankfurt, in: kunst lehren – teaching art Städelschule Frankfurt/ Main, Heike Belser, Daniel Birnbaum (Hg.), Köln, Verlag der Buchhandlung Walter König, 2007, S. 40.
Ute Bopp-Schumacher
in „Bitte ein Liebscher“ Verlag für moderne Kunst, Wien 2017