Natalie de Ligt: Ich will daß Du mir glaubst 

Katalog der 9. Triennale Fellbach, 2004

Martin Liebschers Interesse und Leidenschaft gilt von jeher dem Bewegten. Als Jugendlicher arbeitete er als Filmvorführer. Bei dieser Aufgabe müssen Filmrollen gewechselt werden und man sieht die Zelluloidbahnen vorbeifahren, auf denen abertausende Miniaturfotos aneinandergereiht sind, die im Fluß die Illusion des bewegten Bildes vermitteln. Der Künstler, dessen Metier und Medium die Fotografie ist, liebt alles Neue. Vom Mobiltelefon zur Kamera, von elektronischem Spielzeug bis zum Notebook. Wenn andere ihr erstes Computerprogramm kaufen, hat er bereits das dritte Update installiert. Das alles ist seiner spielerischen Lust am Ausprobieren zu verdanken. Vor allem aber dienen ihm die elektrotechnischen Geräte und Teile als Arbeitsmaterialien und Werkzeuge, mit denen er seine Ideen in Bilder umsetzt. Martin Liebscher hat außerdem die wunderbare Gabe, Arbeit mit Annehmlichkeit in Einklang zu bringen. Am besten wird dies bei seinen Ufo-Fotos deutlich, in denen auch der leidenschaftliche Bastler zum Vorschein kommt. Bereits während seines Studiums an der Kunsthochschule, begann Liebscher mit einer Serie von Plastikraumschiffen, die er aus gebrauchten Einwegkameras zusammenbaute und grau spritze. Sie könnten bedenkenlos als Modelle für Filme wie „Krieg der Sterne“ oder „Raumschiff Enterprise“ eingesetzt werden. „Diese fremdartigen Gebilde fotografiert er unter Zuhilfenahme von Stock und dünnem Seil vor unterschiedlichen Landschaften der USA. Das Resultat ist verblüffend: Flugobjekte scheinen über den Wolkenkratzern von New York oder den Lichtreklamen von Los Angeles und Las Vegas zur Landung anzusetzen, geheimnisvoll über Wüstenlandschaften, tiefen Schluchten und öden Landstraßen zu schweben oder nach Roswell zurückzukehren, der Stadt, in der bereits Ende der 40er Jahre eine fliegende Untertasse abgestürzt sein soll“ . Die Fotografien von unterschiedlichem Format faßte er in billige Plastikrahmen und brachte sie in Form der Petersburger Hängung an die Wand. In einer Galeriepräsentation im Jahr 1998 fungierte zudem eine der romantischen Ufo-Aufnahmen in extremer Vergrößerung als Tapete. Auf diese Weise entstand die Atmosphäre einer skurrilen Privatsammlung, in der jemand Beweise für die Existenz von unbekannten Flugobjekten zusammengetragen hatte. Liebschers Ufo-Fotos sind verblüffend. Niemandem zuvor sind in dieser Deutlichkeit solche Aufnahmen gelungen. Ein kalter Schauer kann einem beim Anblick über den Rücken laufen: SIE sind also da! Martin Liebschers Werk ist geprägt davon, die Realität auf den Kopf zu stellen, sie uns in einem vertrauten Gewand plötzlich völlig fremd erscheinen zu lassen – aber immer mit einem Augenzwinkern, so daß wir mitlächeln können. Die Ufo-Fotos enttarnen sich nämlich recht schnell als ein Fake. Zu offensichtlich ist die deutlich erkennbare Schnur, an der die Plastikraumschiffe ins Bild gehalten werden. Schock und Verblüffung verpuffen so schnell wie sie gekommen sind.
Die Idee und Ausführung der Fotoserie entstanden während eines längeren Stipendienaufenthalts in Los Angeles. Viele Freunde besuchten ihn während seiner Zeit an der Westküste, oft unternahm er mit ihnen Erkundungen des Landes, der Städte und der Natur. Plastikufo, Schnur und Stange waren stets im Gepäck. Wer mit Martin Liebscher einen Ausflug antritt, hat nicht nur das Vergnügen, in seinem raumschiffartigen Auto mitzufahren, das sinniger Weise den Namen „Ford Galaxie“ trägt, sondern er muß dem Künstler auch ab und zu als Raumschiffhalter assistieren. Über die Botschaft der Fotos ließe sich eine ganze Reihe von Überlegungen anstellen. Eines sollte man aber auf jeden Fall im Auge behalten: „‘Die Welt wird nicht am Mangel an Wundern, sondern an der fehlenden Bereitschaft zur Verwunderung zugrunde gehen.‘ (J.B.S. Haldane).“ 

1 Janneke de Vries. Frankfurter Rundschau, 17. Juni 1998
2 ebd.

Natalie de Ligt 2004



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