Andreas Bee: Destinations

Martin Liebscher, Destinations, Frankfurt Airport 2015

Im Fluggasttunnel Terminal 1 präsentiert der Frankfurt Airport die „Destinations “ des Künstlers Martin Liebscher. Die Arbeit ist aus mehreren Motiven zusammengesetzt, die jeweils eine Szenerie einer Stadt zeigen. 
Martin Liebscher hat für diese Bilder eine nur ihm eigene Aufnahmetechnik entwickelt: Jedes Motiv entstand durch die Belichtung analogen Filmmaterials. Der Film wurde in der für diesen Zweck manipulierten Kamera mit offener Blende von Hand durch das Kameragehäuse gezogen. Dadurch ergeben sich Dehnungen und Stauchungen, die die Wahrnehmung und Atmosphäre der urbanen Szene verdichten.
Durch die Aneinanderreihung der Motive im Panoramaformat zu zwei langen übergangslosen Bändern entsteht im Auge des selbst durch das Laufband bewegten Betrachters ein filmartiges Erlebnis.

Ein Tunnel. Eine Verbindung von hier nach da. Genau 288 Meter lang. Förderbänder, rechts und links des Mittelgangs, gegenläufig. Mit ihrer Hilfe beschleunigen wir den Schritt oder lassen uns gehen. Nach zwei Minuten ist alle vorbei. Was wir mitnehmen sind Eindrücke und Bilder aus einem ‚Film’ der uns en passant vorgeführt wurde. 
Was den Blick stimuliert sind Eindrücke aus einer Welt die heute nur noch aus der Bewegung heraus verstanden werden kann. Bilder, die aus der Be- und Entschleunigung geboren wurden. Bilder, die uns zeigen, dass wir die Zeit nicht mehr als etwas gleichmäßig Fließendes erleben, sondern als etwas Rhythmisches. 
Die auf Ordnung und Übersicht erpichte Wahrnehmung wird an einer Stelle hart gebremst, um schon im nächsten Moment wie durch einen Adrenalinstoß beschleunig zu werden. Wir begreifen intuitiv, dass die Kamera selbst während der Aufnahme in Bewegung gewesen sein muss und kombinieren, dass der Kleinbildfilm im Apparat des Fotografen bei offener Linse gespult wurde. Wir registrieren die kondensstreifenähnlichen Verwischungen der abgelichteten Gebäude, dann die einem Auf- und Abschwellen in der Musik vergleichbaren Belichtungsschwankungen und nicht zuletzt jene wie Taktstriche das extreme Querformat rhythmisierenden Vertikalen. All das hat einen Nenner, hat ein Ziel und ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als eine Hymne auf die Schönheit die der Bewegung innewohnen kann. 
So verschmelzen Städte und Räume. Tokio wird zu New York zu Frankfurt, zu Rom, London, Hong Kong, Chicago, Los Angeles, Las Vegas, Berlin, Paris, Barcelona. Manchmal wird bei dieser Reise um die Welt der Blick derart verwirbelt, dass er gleichermaßen von rechts nach links, von oben nach unten und in jeweils umgekehrter Reihenfolge wandern muss. So entsteht ein Gefühl, das an einen Zustand der Schwerelosigkeit erinnern mag, an eine Perspektive also, in der Oben und Unten nur noch verblassende Konventionen sind. Gelänge es für einen kurzen Augenblick sich mit einer im Wind wiegenden und durch den Raum trudelnden Feder zu identifizieren so erhielten wir wahrscheinlich einen ganz ähnlichen Eindruck. All diesen ganz und gar nicht auf Klarheit erpichten und über weite Strecken durch Unschärfen bestimmten, leicht über- oder unterbelichteten Auf-nahmen ist eine spezifische Atmosphäre eigentümlich. Diese ist jedoch derart mit Informationen angereichert, dass es trotz aller Unschärfen zumeist gelingt, Ort und Zeitpunkt der Aufnahme
annähernd zu bestimmen. 
Liebschers Fotografien sind nicht wiederholbar, weil in ihnen der Zufall assistiert. Martin Liebschers Panorama im Tunnel des Frankfurter Flughafens veranschaulicht auf poetische Weise das Leben als ein mitreißendes. Hier wird Zeit als etwas begriffen, das eigentlich gar nicht ist, wird ein Zustand geschildert, in dem es kein Halten und keinen Stillstand gibt. Aber auch ein flüchtiges, sich ständig verlierendes Begreifen von Welt hinterlässt Spuren. Auf sie bezieht sich Martin Liebscher, wenn er versucht, etwas von dem geschilderten Wechselspiel in Szene zu setzen. 
Der Betrachter mag sich seinen eigenen Reim auf ein Vorher, Nachher und Jetzt machen. Vielleicht aber versteht auch er Bewegung als wechselvoll verlaufendes Spiel und nicht als Flucht aus einem Punkt heraus oder als Drängen hin auf ein bestimmtes Ziel. 

Andreas Bee

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