Martin Liebscher berichtet, daß er am 02. Dezember 1987 den Besuch eines Aliens erhielt. Eine Verfolgung der fremden Spezies wurde dadurch verhindert, daß blauer Nebel ihn bewegungsunfähig machte. So mußte er untätig zusehen, wie sein Besucher mittels eines Transporterstrahls an Bord eines unbekannten Flugobjektes gebeamt wurde und davonflog. Wen wundert es nach einem derartigen Erlebnis, daß Liebscher von Ufos fasziniert ist. Aus gebrauchten Einwegkameras baut er Raumschiffe zu sammen und spritzt sie grau. Diese fremdartigen Gebilde fotografiert er unter Zuhilfenahme von Stock und dünnem Seil vor unterschiedlichen Landschaften der USA. Das Resultat ist verblüffend: Flugobjekte scheinen über den Wolkenkratzern von New York oder den Lichtreklamen von Los Angeles und Las Vegas zur Landung anzusetzen, geheimnisvoll über Wüstenlandschaften, tiefen Schluchten und öden Landstraßen zu schweben oder nach Roswell zurückzukehren, der Stadt, in der bereits Ende der 40er Jahre eine fliegende Untertasse abgestürzt sein soll. Die Ergebnisse seiner ausgedehnten Fotoexpeditionen präsentiert der Künstler derzeit in der Ausstellung „If you lived here, youd be home by now“ in der Galerie Voges & Deisen. Ausstellungstitel, Fotografien und deren Präsentation stören nachhaltig unsere scheinbar gesicherten Vorstellungen vom Fremden und Vertrauten: Fremdes wirkt merkwürdig bekannt, Vertrautes geradezu außerirdisch. In unterschiedlichen For maten und von billigen Plastikrahmen gefaßt sind die Bilder über-, unter- und nebeneinander auf die Wände gehängt. Eine romantische Ufo-Aufnahme im Gegenlicht fungiert in extremer Vergrößerung als Tapete. Das, zusammen mit der bewußten Amateurhaftigkeit der Fo tografien, ergibt die Atmosphäre eines skurrilen Privatmuseums eines begeisterten, aber etwas „abgespacten“ Sammlers von Beweisen für intelligentes Leben im All. Auf den ersten Blick scheinen die Fotografien dem derzeitigen 70er-Jahre-Revival zu entsprechen, mag sich mancher an japanische Trash-Science-Fiction-Filme erinnert fühlen. Allerdings beziehen diese billig gemachten Filme ihren heutigen Kultstatus daraus, daß sie auf rüh rend-naive Weise ernstgemeint waren. Martin Liebscher dagegen treibt sein Spiel von Anfang an augenzwinkernd auf die Spitze und bricht es ironisch. Ein unmißverständlicher Hinweis findet sich in der deutlich auszumachenden Schnur, an der die Plastikraumschiffe ins Bild gehalten werden. Der Vergleich zu Künstlern wie Sigmar Polke, Johannes Brus oder Anna und Bernhard Blume liegt nahe. Sie bildeten in den 70er Jahren im Auftrag „Höherer Wesen“ geisterhaft im Raum schwebende „Decken, in die sich immer wieder die Konturen einer weiblichen Figur falten“, Gurken oder Vasen fotografisch ab und zogen daraus ihre sarkastischen Schlüsse. Auch bei Liebscher offenbart das Alltägliche seinen fremdartig-unheimlichen Charakter, so daß wir spielerisch gezwungen werden, das Vertraute neu zu sehen. Einmal auf diese Spur gesetzt, sind erstaunliche Entdeckungen zu machen. Ist nicht der ins Bild ragende Unterarm, der merkwürdige Hut oder die geheimnisvolle Lichtbrechung im eigenen Familienalbum eigentlich ein Ufo? Es leuchtet ein, daß Idee und Ausführung der Fotoserie während eines sechsmonatigen Aufenthaltes in Los Angeles entstanden. Schließlich war Liebscher in dieser Zeit selbst ein Fremder in einer ihm fremden Kultur. Wer einmal in L.A. war, weiß, daß es angesichts so vieler geradezu außerirdischer Einflüsse auf ein paar Ufos mehr nicht mehr ankommen kann. Und mit dem Wissen, daß der Künstler seine Fotoreisen in einem raumschiffähnlichen Gefährt mit dem vielsagenden Namen „Ford Galaxie“ unternommen hat, schließt sich der Kreis (am Eröffnungsabend war dieses Wesen aus einer anderen Welt übrigens im Hof der Galerie zu begutachten, bevor es mit WOB-Antrieb im All verschwand). Angesichts der wandüberziehenden Zeugnisse extraterrestrischen Lebens bei Voges & Deisen stellt sich schließlich die Frage, woher Liebscher seine Insiderinformationen über die Existenz fremden Lebens bezieht. Vielleicht wurde er, entgegen seiner Darstellung, bei seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen an jenem Dezembertag 1987 von ebendiesen entführt und ausgetauscht. Martin Liebscher ein Alien? Wie auch immer, eines jedenfalls ist sicher: „Die Welt wird nicht am Mangel an Wundern, sondern an der fehlenden Bereitschaft zur Verwunderung zugrunde gehen.“ (J.B.S. Haldane) Mit Liebschers Hilfe sind wir davon noch weit entfernt.
Janneke de Vries
in Frankfurter Rundschau, 17. Juni 1998