René Pollesch: Diktatorengattinnen

René Pollesch

Diktatorengattinnen (Auszug)
Premiere: 17.10.2007, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

Sophie Rois: Ich brauche eine Doppelgängerin. Sie sieht mir doch ähnlich.

Christine Groß: Das ist ja auch ihre Doppelgängerin.

Mira Partecke: Wenn hier jetzt jemand rein fliegt in diesen Palast! Dann doch nicht, um mich, Elena Ceausescu, zu treffen sondern nur aufgrund seines spektakulären Selbstmordes. Nur wegen des Ortes und der Zeit. Es geht doch nicht um mich! Dass ich mich hier aufhalte, ist den Terroristen doch egal!

S: Also brauchst du gar keinen Doppelgänger! Doppelgänger haben ausgesorgt! Man müsste Doppelgänger von Zeiten, Orten und Palästen haben.

M: Doch ich brauche einen. S i e sehn mir doch ähnlich.

T: Das ist ja auch Ihre Doppelgängerin.

S: Frau Kling sieht ihnen aber viel ähnlicher.

T: Tu ich nicht. Was wollen sie damit sagen? Sie dürfen mit ihrem Leben die Würde dieser Frau verteidigen, was sie wahrscheinlich selbst nie getan hat!

S: Ganz genau. Ich verliere meine Würde vor jemandem, der bereit ist, sein Leben zu verliern. Für mich!

M: Aber das bin ich nicht! Ich bin nicht bereit, mein Leben für dich zu verlieren!

S: Aber das ist nun mal der Tausch. Und wir leben in einer Tauschgesellschaft!

M: Ich sage aber gar nicht freiwillig, dass ich bereit bin, mein Leben zu verlieren! Und ich soll ja beides verlieren, mein Leben und meine Würde! Ich verlier ja mein Leben noch nicht mal als ich selbst!

T: Moment mal! Sollte denn nicht vielleicht ich eine Doppelgängerin suchen? Schließlich hat der Anschlag mir gegolten. Wie kann man das nur so verkennen?

S: Immer geht’s um sie! Duty first, self second!

M: Aber das ist doch ihr Leitmotiv!

T: Nein, das ist meins. Das sag ich doch die ganze Zeit. Ich bitte sie, selbstverständlich sollte ich erschossen werden. Das kann sich doch nur ein krankes Gehirn ausdenken, dass sie erschossen werden sollte.

S: Hm… Was sollen wir also machen?

M: I c h werde meine Würde als Doppelgängerin verlieren, hier vor ihnen, und Sie ihr Leben.

S: Aber mein Leben würde ich nur verliern, wenn ich keine Doppelgängerin hätte und dann würden auch Sie Ihre Würde behalten. Dann behielten Sie Würde und Leben. Und was hätte ich dann von Ihnen bekommen?

T: Es ist verzwickt!

Tina: Erschiessungsszene Eins, die Erste! Und bitte!

S: Ich werde schon erschossen? Heute ist doch erst Mittwoch!

Volker Spengler: Solltest du dich jetzt nicht mit deiner Rolle identifizieren?

S: Nein! Ich identifiziere mich nicht mit einer Rolle, sondern damit, dass ich andern Leuten so gut was vormachen kann.

M: Diese Frau bleibt mir fremd. Diese Frau, die ich spielen soll. Also im Grunde will ich gar keine Frau spielen!

S: Du bist für mich keine Frau, du bist ein Profi! 

M: Na Gott sei Dank, ich hoffe das spricht sich rum und ich werde nicht immer wieder als Frau angesprochen, sondern als Profi. 

S: Und ich bin auch ein Profi! Also: Und du spielst  mich jetzt! Und damit Basta! 

V: Ich denk nicht dran! Ich glaube nicht an die Dekonstruktion des Startums! Sollte man meine Würde auch noch so sehr durch den Schmutz ziehn! Ich bin abgebrüht genug mich dieser Tortur zu unterwerfen!

Ich will ne Hauptrolle!

M: Ich hab nur meine Würde, die ich tauschen kann. Ja, gut, ich könnte auch mein Leben tauschen um diesen Potlatsch um mich herum zu beantworten, aber die westliche Zivilisation schliesst das Opfer des Lebens aus! 

Die westliche Welt ist eine Welt des Überlebens, des Sich-ans-Leben-Klammerns. Die können das Opfer des Lebens gar nicht beantworten, außer mit dem Opfer der Würde, mit einem dauernden Geständniszwang. Mit Selbstdenunzitation. 

Künstler sind immer bereit, ihre Würde zu verlieren und Terroristen immer bereit ihr Leben zu verlieren.

T: Und: Der Anschlag hat natürlich mir gegolten!


S: Hat er nicht! Sie sind eine Haushälterin, Frau Kling! Was ist denn das mit dieser Paranoia?! Vielleicht habe ich immer den schlimmstmöglichen Verdacht, um nicht für naiv gehalten zu werden!

T: Ich hatte immer Gott in Verdacht, dass er nicht mächtig ist. Und dann kam das Christentum und hat ihn mir genommen. Jetzt verdächtigen sie ihn alle! Und nun habe ich keine Lust mehr!

V: Kümmer dich doch um mich! 

S: Wenn diese authentische Seele hier den Mund aufmacht, erschrecke ich mich jedes Mal zu Tode. 

V: Ich will eine Hauptrolle!

S: Vergiss es, der Satz ist gestrichen!

V: Ich will ihn aber sagen! Mir gefällt die Stelle und ich kann sie auch schon auswendig.

S: Aber Liebling, wir brauchen ihn nicht, der ist redundant. 

V: Was ist denn das?

S: Es heißt: Wir brauchen es nicht.

V: Willst du meine Rolle noch kleiner machen? Ich sag das so gerne, meine Rolle ist eh schon so klein.

M: Olive hat keinen einzigen Nervenstrang in ihrem Körper. Wahrscheinlich ist ihre Wirbelsäule gar nicht mit ihrem Hirn verbunden.

V: Ich will nicht, dass du mir dauernd die Sätze streichst! Was soll ich denn jetzt machen?

S: Ich kann mir nicht immer was einfallen lassen! Negation muss die Kreativität ablösen! Ich sag jetzt mal NEIN!

V: Aber Mutter! Du musst jetzt kreativ sein!

M: Ich hätte sie ja vielleicht nicht unbedingt mit Liebe aufziehen müssen! Jetzt steht sie da in ihren billigen Schuhen und da kann sie noch so sehr schrubben, den Bauerntrampel wird sie einfach nicht mehr los. Ich hab dieses Kind ohne Zugang zur Welt in die Welt gesetzt! Ohne Zugang zum Leben. Ein Zugang zur Welt, das wäre etwas gewesen, was ich dieser abscheulichen Missgeburt mit auf den Weg hätte geben können! Jetzt ist sie die ganze Zeit nur damit beschäftigt, nicht billig auszusehn. Ich muss verrückt gewesen sein, dem Befehl zu gehorchen, seinem Kind allein die Liebe zu geben, die es verdient hat. Aber die hat ja jeder verdient, diese diffuse Blase, auf die sich alle einigen können. Internate, Bildung, eine exklusive Umgebung, das wäre etwas gewesen. 

V: Du bist wirklich herzlos.

T: Aber herzlos ist besser als allzu mitteilungsbedürftig. Müssen hier alle rumlaufen als hätten sie eine Wahrheitsdroge geschluckt?

S: Ich habe schlechte Karten, zieh mal!

M: Und jetzt?

S: Jetzt habe ich nur noch 51.

Ich hab ein Kind zu Hause, das nicht ausziehn will, weil es da billiger ist. Den ganzen Tag hab ich Spritzen gegeben! Nur damit das beim Film unterkommt! Kinder, das waren doch mal die einzige Lebensversicherung. Und jetzt muss ich dauernd versuchen, das da im Theater unterzubringen. 

Nein! Familie das ist doch eine gefährliche Zusammenballung gegenseitiger Abhängigkeiten und abgründiger Konflikte. Die man nicht mal selbstständig gewählt hat.

T: Normalerweise kaufe ich mir doch, was ich für mein Leben brauche. Warum hab ich denn ausgerechnet bei ihr eine Ausnahme gemacht!

© René Pollesch, 2007

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, theater@rowohlt.de

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